von Maike Svenja Goemann
Am 21. Mai 2014 versammelten sich
die Studenten des Seminars „Erinnern
und Vergessen “ in der Kunsthalle Dominikanerkirche in Osnabrück, um an einer
fiktiven Ausschreibung teilzunehmen. Sie diente als Einstieg, um später mehr
über das Denkmal „Der Gefesselte“ zu erfahren, welches sich direkt vor der
Kunsthalle befindet. (Es ist mir leider nicht möglich, die entstandenen Arbeiten der Studenten hier abzubilden.) Der Künstler, der dieses Werk erschaffen hat, heißt
Gerhard Marcks. 1961 erhielt er den Auftrag, dieses Denkmal zu gestalten.
Die Ausschreibung hätte folgenden
Wortlaut haben können:
Ausschreibung der Stadt Osnabrück
Die Friedensstadt Osnabrück hat
beschlossen, den Opfern für Wahrheit und Freiheit ein Denkmal zu stiften.
Liebe Leser dieses Blogs,
wenn Sie nun an der Stelle des
Künstlers wären, der diesem Aufruf zur Gestaltung eines Denkmals folgt und nur
die oben beschriebenen Informationen zur Verfügung hätten, wie würden Sie
dieses Denkmal gestalten?
Welche historischen Ereignisse
würden Sie mit dem Satz „den Opfern für Wahrheit und Freiheit“ verbinden? Sollte
man diesen Satz universal auffassen und alle Opfer, die ihr Leben für Wahrheit
und Freiheit gaben, widmen? Oder sollte sich ein Denkmal auf spezifische Ereignisse,
die sich zu einer bestimmten Zeit, etwa im 2. Weltkrieg, zugetragen haben,
beziehen?
Um sich nun neben den eigenen
Ideen für ein adäquates Denkmal Gedanken zu machen, ist es vielleicht hilfreich,
auch etwas über den Künstler Gerhard Marcks zu erfahren. Durch seine Biografie
wird man später besser verstehen, warum genau dieses von ihm erschaffene
Denkmal so ist, wie es nun dasteht und auf welche Art und Weise er „den Opfern
für Wahrheit und Freiheit“ gedenkt.
Gerhard Marcks wurde am 18.02. 1889
als Kaufmannssohn in Berlin geboren. Bis 1912 widmete er sich Tierstudien und erlernte
die Bildhauerei als Autodidakt. 1914 – 1915 leistete er seinen Kriegsdienst in
Flandern und kehrte als Schwerkranker aus dem 1. Weltkrieg zurück. 1918 wurde
er an die Kunstgewerbsschule in Berlin berufen. Von 1925 bis 1933 bekleidete er
ein Lehramt an der Gewerbeschule Burg
Giebichenstein in Halle an der Saale. Seine Werke wurden von den Nationalsozialisten
als „Entartete Kunst“ gebrandmarkt. Er wurde aus seinem Amt entlassen und ein Ausstellungsverbot
folgte.
1943 starb sein Sohn im Krieg und
im selben Jahr wurde auch noch sein Atelier vernichtet. 1946 lehrte er in
Hamburg an der Kunsthochschule. 1969 gründete er die Gerhard-Marcks-Stiftung.
Gerhard Marcks starb am 13. November 1981 in Burgbrohl in der Eifel. Während
seines ganzen Lebens unternahm er gerne Reisen nach Italien, den USA und
Griechenland.
Die geschichtlichen Ereignisse
spielen neben der Biografie des Künstlers eine sehr entscheidende Rolle in der
Interpretation und Betrachtung des Gefesselten.
Das Denkmal soll an folgende
Geschehnisse erinnern:
- 1944 „Aktion Gitter“ und Attentat auf Hitler. Nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler 1944 wurde die Aktion Gitter durchgeführt. Angehörige der Attentäter, Verwandte von Personen, die den bürgerlichen Parteien der Weimarer Republik sowie der KPD angehört hatten, sollten verhaftet werden. Hinzu kamen diejenigen, die das sogenannte Gründungsmanifest des Nationalkomitees Freies Deutschland vom 13. Juli 1943 unterschrieben hatten.
- 1953 der Volkaufstand in der DDR vom 17.Juni.
1955 kam die Forderung nach einem
„Denkmal zur Erinnerung an die Opfer von Diktaturen“ von der
Arbeitsgemeinschaft politisch Verfolgter in Osnabrück auf. 1961 reagierte der
Stadtrat Osnabrück erstmalig unter dem Druck des Mauerbaus und am 5. September
desselben Jahres kam es zu einer Tagung, in der der Antrag zum „Gedenken an das
geteilte Deutschland“ von Oberbürgermeister Kelch vorgetragen wurde. Das geplante
Denkmal sollte ein Symbol für die Zusammengehörigkeit aller Deutschen sein.
1961 erhielt Prof. Gerhard Marcks den Auftrag für den Entwurf eines einfachen
Mahnmals, das der Bedeutung der Ereignisse entspricht. Am 20. Juli 1964, dem
20. Jahrestag des gescheiterten Attentats auf Hitler, wurde es eingeweiht. Eine
offizielle Kranzniederlegung durch die Stadt Osnabrück fand statt.
2010 gedachte man der vier
Osnabrücker Parteimitglieder, die ohne Nachweis einer Beteiligung am Attentat
auf Hitler interniert und anschließend getötet wurden. Am 8. Mai 2014 fand eine
Gedenkveranstaltung für die homosexuellen Opfer zum Tag der Befreiung vom
Hitlerfaschismus statt. Dies wurde durch den AstA der Universität Osnabrück
veranlasst.
Nachdem Sie nun als Leser etwas über
den Künstler sowie den geschichtlichen Hintergrund zum Werk erfahren haben, hat
sich Ihr Eindruck vom Denkmal geändert? Wird es dem Aufruf zum Gedenken an die
Opfer von Wahrheit und Freiheit gerecht? Erreicht es vielleicht sogar noch
mehr, indem es universell gestaltet ist?
Vielleicht meinen Sie nun, dass dieses Denkmal
als universelles Werk zum Gedenken an die Opfer von Wahrheit und Freiheit nur dann
seine volle Wirkung entfaltet, wenn man ohne Hintergrundwissen in die
Betrachtung hineingeht. Ich bin gespannt auf Ihre Kommentare.
Zum Schluss gebe ich Ihnen noch
ein paar Eckdaten zum Denkmal. Die Skulptur stellt einen älteren gefesselten
Mann dar. Das verwendete Material ist Basalt (vulkanisches Gestein und
basisches Ergussgestein). Der Umfang entspricht in etwa 70 cm, wobei der 1.
Sockel ca. 1m und der 2. Sockel ca. 58 cm hoch sind. Der hintere Sockel hat einen
Umfang von etwa 1m. Insgesamt ist „Der Gefesselte“ ca. 480 cm groß.
Nachdem ich nun die Biografie des
Künstlers und die geschichtlichen Hintergrunddaten kenne, bleiben trotzdem noch
einige offene Fragen für mich sowie vermutlich für jeden Leser und Betrachter bestehen. Ich möchte hiermit alle Leser ermutigen und auffordern, ihre Gedanken und ihre Sichtweise als Kommentare zu diesem Blogeintrag mitzuteilen.
Was hat den Künstler wohl dazu
veranlasst, diesen Mann gefesselt darzustellen?
Warum ist der Blick des Mannes
nach unten gerichtet?
Was stellen die Formen der
Plattform, auf der der Mann steht, dar? Könnte es symbolisch einen Grabstein abbilden?
Wird hier ein Mensch gezeigt, der für Wahrheit und Freiheit steht?
Ich hoffe, ich konnte Ihnen ein
paar Denkanstöße bezüglich des Denkmals geben, viele wissenswerte Informationen
mitgeben und Ihr Interesse am Werk wecken.
Meine abschließenden Fragen an
Sie:
Hat diese Skulptur den Charakter, dass sie wirklich generell für viele
Opfer und historische Ereignisse stehen kann? Oder geht ihre Symbolik eventuell
sogar über dies hinaus?