Im Rahmen des Seminars "Erinnern und Vergessen (III) - Betrachtungen zur Kunst im öffentlichen Raum im Spannungsfeld aus
alltäglicher Rezeption, wissenschaftlicher Analyse und künstlerischer
Forschung", geleitet von Ruppe Koselleck, entschied sich unsere Gruppe dazu, den "Mann im November" vorzustellen. Wir bedanken uns bei allen, die für Interviews und Fotos zur Verfügung standen. Der „Mann im November“ befindet sich
seit 1979 in Osnabrück. Um mehr über ihn zu erfahren, möchten wir den Lesern
und Interessenten an dieser Skulptur eine kurze Geschichte erzählen:
„Mann
im November“
Sehr geehrtes Publikum,
Sie kennen mich, wenn Sie aus
Osnabrück stammen, vermutlich als „Mann im November“, 1,70 m groß und aus
Bronze. Ich bin sogar überlebensgroß, wenn man den Sockel zu meiner Statur dazu
zählt.
1974 wurde ich geboren. Waldemar Otto
ist mein Vater. 1979 entschied sich die Stadt Osnabrück dafür, mich für 39000
DM zu adoptieren und ich durfte in der Stadt bleiben. 2001 lud mich André
Lindhorst, Kustos der Kunsthalle Osnabrück, für ein Jahr zu sich ein und
schenkte mir die Möglichkeit, gründlich gereinigt zu werden. Leider hatte ich
die Jahre zuvor keine Chance, eine Dusche oder ein Bad aufzusuchen, obwohl mich
Sprayer sehr oft heimgesucht hatten.
Jedoch laufen viele Passanten tagein
tagaus einfach an mir vorbei, ohne mich eines Blickes zu würdigen. Andere
stoßen sich an mir und bemerken mich so wenigstens durch Schmerzen, die sie
ereilen. Das ist natürlich ideal für meine Nachbarschaft, die aus Arztpraxen
und einer Apotheke besteht. Seit 2002 befinde ich mich hier in der Großen
Straße, unweit des Nikolaiortes.
Ich mag es nicht gerne, privat zu
werden, aber was ich noch sagen möchte, ist, dass ich sieben identische Brüder
habe. Wir sind also Siebenlinge. Einige Brüder sind bei privaten Sammlern
untergekommen, ein anderer tauchte sogar schon im Tatort im Hintergrund der
Filmkulisse auf. Soviel also zu meiner Familie.
Teil
II – Waldemar Otto
Der Vater des „Mann im November“ und
seiner Zwillingsbrüder ist der deutsche Bildhauer und Künstler Waldemar Otto. Er
wird am 30. März 1929 in Petrikau in Polen geboren und beginnt 1948 an der
Berliner Hochschule für bildende Künste ein Studium der Bildhauerei.
Einen seiner ersten Erfolge erreicht
er 1957, als er mit nur 28 Jahren mit dem großen Preis der Berliner Kunstaustellung
ausgezeichnet wird. Einige Jahre später entstehen dann seine ersten Torsi, die
von nun an charakteristisch für sein Schaffen sein sollen. Figurative Plastiken
sind sein Steckenpferd, die die Themen Leid, Schmerz und kämpferischen Geist
besonders expressiv zur Geltung bringen. Seine Werke fertigt er vor allem aus
Holz, Granit und Bronze an. Otto Waldemar lebt heute im Künstlerdorf Worpswede
in der Nähe von Bremen und ist international mit seiner Kunst bekannt.
Was könnte man nun anderes tun, als
Mitleid mit dem „Mann im November“ zu haben? Dazu haben wir uns gedacht, dass
er etwas Liebe an einem kalten Wintertag verdient, einsam die Apotheke in der
Großen Straße in Osnabrück bewachend. Also statteten wir ihn mit einem Schild
aus, wie man im Folgenden sehen kann …
Nach und nach erbarmten sich einige Bürger, um ihm Mitgefühl ...
... und Wärme zu zeigen!
Diesen Gefühlsaudrücken sollten nun Aussagen der Bürger folgen, die die Skulptur kommentierten:
Zudem äußerten sich Studenten der Universität Osnabrück ebenfalls zu der Skulptur und waren verschiedener Meinung, ob die Skulptur an einen anderen Platz gehöre oder nicht. Einige meinen, „der Mann“ falle hier in der Nähe der Apotheke praktisch gar nicht auf und Passanten laufen einfach an ihm vorbei. Andere wiederum sagen, dass der Platz genau richtig inmitten der Stadt sei. Es sei nun einmal das Schicksal vieler Skulpturen und Statuen vergessen und übersehen zu werden.
Diesen Gefühlsaudrücken sollten nun Aussagen der Bürger folgen, die die Skulptur kommentierten:
Zitate (Passantenbefragung) – „Mann im
November“
„Weder gefällt es mir, noch müsste es
weg. Ich nehme die Skulptur jetzt das erste Mal bewusst wahr. Ich lebe schon
seit 6 Jahren in Osnabrück. Joa, es ruft zum Innehalten auf.“
„Ich kenne das Denkmal nicht, es steht
halt da. Ich hab’s allgemein nicht so mit Denkmälern. Welches stattdessen hier
stehen könnte? Öh…, dann eben der Eiffelturm. (lacht)“ – Apothekerin
„Ja, natürlich kenne ich das Denkmal.
Es steht schon seit zehn, zwanzig Jahren in Osnabrück an verschiedenen Stellen.
Es gefällt mir sehr gut! Es wirkt trostlos, melancholisch und ist
depressionsauslösend. Ich möchte das Schicksal dieses Typen nicht teilen, ist
bestimmt so ein armer Mann, der den ganzen Tag hinter’m Schreibtisch hockt und
nichts anderes sieht. Mein Bekanntenkreis findet ihn furchtbar – im Sinne von
‚furchtbar expressiv‘, da er ja auch überlebensgroß ist. Zudem ist er
provokativ. Ja, der Standort sollte auf jeden Fall mitten im Gewühl sein.
Kennen Sie Vollker Trieb? Da gibt es noch Baumstämme in der Stadt verteilt, auf
denen Sätze stehen, die an den Ersten Weltkrieg erinnern, aber es müsste
zumindest „Erich Maria Remarque“ darauf stehen, sonst versteht es niemand.
Diese Skulptur hat wenigstens alle Informationen auf dem Sockel, nehme ich an?
Dann gehe ich gleich mal hin und schaue.“
„Sein Blick ist traurig. Er sieht wie
ein Obdachloser aus. Er hat wohl kein Essen.“
„Jedes Mal komme ich hier vorbei. Er
ist hässlich, aber echt, ein alter Mensch. Aber es stört nicht.“
„Ja, man rennt hier vorbei, eigentlich
bräuchte es eine exponiertere Lage, zum Beispiel die Hase. Aber das Denkmal ist
dekorativ, soll etwas darstellen. Es ist ein unauffälliger Ort und geht hier
unter. Wie wäre es denn mit Blumen ums Denkmal herum oder, ja genau, Halogenlampen,
damit er auch im Dunkeln zu sehen ist!“
Zudem äußerten sich Studenten der Universität Osnabrück ebenfalls zu der Skulptur und waren verschiedener Meinung, ob die Skulptur an einen anderen Platz gehöre oder nicht. Einige meinen, „der Mann“ falle hier in der Nähe der Apotheke praktisch gar nicht auf und Passanten laufen einfach an ihm vorbei. Andere wiederum sagen, dass der Platz genau richtig inmitten der Stadt sei. Es sei nun einmal das Schicksal vieler Skulpturen und Statuen vergessen und übersehen zu werden.
Wobei man sich als Betrachter an
dieser Stelle fragt: „Handelt es sich beim „Mann im November“ wirklich um ein
Denkmal?“ Einige Studenten geben kund, dass sie den „Mann im November“ auf
jeden Fall als Denkmal einstufen und kategorisieren würden, da er an Arme oder
Hungernde gedenken lässt. Außerdem sei er relativ simpel und schlicht
gestaltet, weshalb man ihn mit vielen Gedanken und Menschen assoziieren könnte,
denen es besonders in der kalten Jahreszeit schlecht ergeht. Andererseits sei er
so vereinfacht dargestellt, dass er auch einen normalen Bürger darstellen
könnte, der einsam durch die Fußgängerzone wandert.
Das Werk erscheint auf eine Art und
Weise zeitlos. Der „Mann im November“ stimmt viele Personen nachdenklich,
besonders in der kalten Jahreszeit, wenn draußen trübes, graues Wetter
herrscht, während Passanten stumm oder hektisch durch die Straßen ziehen. Seine
Pose und das Wetter, welches man mit dem November als Monat verknüpft, drücken
Depression und Niedergeschlagenheit aus. Gerade dann sollte man ihn nicht
übersehen. Der „Mann im November“ gibt Anlass, an die zu denken, denen es nicht
so gut geht wie einem selbst. Vielleicht ist er aber in der heutigen Zeit auch
ein Zeichen dafür, dass man inne halten sollte. Es gibt viele gedankliche
Verknüpfungen zu dieser Skulptur – wir vergessen manchmal das, was wirklich
wichtig sein sollte. Er ermöglicht es, sich genau daran zu erinnern.
Julia Böhm & Maike Goemann
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