Montag, 29. September 2014

"Der Gefesselte"


von Maike Svenja Goemann

Am 21. Mai 2014 versammelten sich die Studenten des Seminars „Erinnern und Vergessen “ in der Kunsthalle Dominikanerkirche in Osnabrück, um an einer fiktiven Ausschreibung teilzunehmen. Sie diente als Einstieg, um später mehr über das Denkmal „Der Gefesselte“ zu erfahren, welches sich direkt vor der Kunsthalle befindet. (Es ist mir leider nicht möglich, die entstandenen Arbeiten der Studenten hier abzubilden.) Der Künstler, der dieses Werk erschaffen hat, heißt Gerhard Marcks. 1961 erhielt er den Auftrag, dieses Denkmal zu gestalten.
Die Ausschreibung hätte folgenden Wortlaut haben können:

Ausschreibung der Stadt Osnabrück
Die Friedensstadt Osnabrück hat beschlossen, den Opfern für Wahrheit und Freiheit ein Denkmal zu stiften.
Ausschreibungen mit Skizze und Titel bis zum 21. Mai 2014, 15:00 Uhr, abzugeben.



Liebe Leser dieses Blogs

wenn Sie nun an der Stelle des Künstlers wären, der diesem Aufruf zur Gestaltung eines Denkmals folgt und nur die oben beschriebenen Informationen zur Verfügung hätten, wie würden Sie dieses Denkmal gestalten?
Welche historischen Ereignisse würden Sie mit dem Satz „den Opfern für Wahrheit und Freiheit“ verbinden? Sollte man diesen Satz universal auffassen und alle Opfer, die ihr Leben für Wahrheit und Freiheit gaben, widmen? Oder sollte sich ein Denkmal auf spezifische Ereignisse, die sich zu einer bestimmten Zeit, etwa im 2. Weltkrieg, zugetragen haben, beziehen?
Um sich nun neben den eigenen Ideen für ein adäquates Denkmal Gedanken zu machen, ist es vielleicht hilfreich, auch etwas über den Künstler Gerhard Marcks zu erfahren. Durch seine Biografie wird man später besser verstehen, warum genau dieses von ihm erschaffene Denkmal so ist, wie es nun dasteht und auf welche Art und Weise er „den Opfern für Wahrheit und Freiheit“ gedenkt.



Gerhard Marcks wurde am 18.02. 1889 als Kaufmannssohn in Berlin geboren. Bis 1912 widmete er sich Tierstudien und erlernte die Bildhauerei als Autodidakt. 1914 – 1915 leistete er seinen Kriegsdienst in Flandern und kehrte als Schwerkranker aus dem 1. Weltkrieg zurück. 1918 wurde er an die Kunstgewerbsschule in Berlin berufen. Von 1925 bis 1933 bekleidete er ein Lehramt an der Gewerbeschule Burg Giebichenstein in Halle an der Saale. Seine Werke wurden von den Nationalsozialisten als „Entartete Kunst“ gebrandmarkt. Er wurde aus seinem Amt entlassen und ein Ausstellungsverbot folgte.
1943 starb sein Sohn im Krieg und im selben Jahr wurde auch noch sein Atelier vernichtet. 1946 lehrte er in Hamburg an der Kunsthochschule. 1969 gründete er die Gerhard-Marcks-Stiftung. Gerhard Marcks starb am 13. November 1981 in Burgbrohl in der Eifel. Während seines ganzen Lebens unternahm er gerne Reisen nach Italien, den USA und Griechenland.

Die geschichtlichen Ereignisse spielen neben der Biografie des Künstlers eine sehr entscheidende Rolle in der Interpretation und Betrachtung des Gefesselten.



Das Denkmal soll an folgende Geschehnisse erinnern:

  • 1944 „Aktion Gitter“ und Attentat auf Hitler. Nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler 1944 wurde die Aktion Gitter durchgeführt. Angehörige der Attentäter, Verwandte von Personen, die den bürgerlichen Parteien der Weimarer Republik sowie der KPD angehört hatten, sollten verhaftet werden. Hinzu kamen diejenigen, die das sogenannte Gründungsmanifest des Nationalkomitees Freies Deutschland vom 13. Juli 1943 unterschrieben hatten.  
  • 1953 der Volkaufstand in der DDR vom 17.Juni.

1955 kam die Forderung nach einem „Denkmal zur Erinnerung an die Opfer von Diktaturen“ von der Arbeitsgemeinschaft politisch Verfolgter in Osnabrück auf. 1961 reagierte der Stadtrat Osnabrück erstmalig unter dem Druck des Mauerbaus und am 5. September desselben Jahres kam es zu einer Tagung, in der der Antrag zum „Gedenken an das geteilte Deutschland“ von Oberbürgermeister Kelch vorgetragen wurde. Das geplante Denkmal sollte ein Symbol für die Zusammengehörigkeit aller Deutschen sein. 1961 erhielt Prof. Gerhard Marcks den Auftrag für den Entwurf eines einfachen Mahnmals, das der Bedeutung der Ereignisse entspricht. Am 20. Juli 1964, dem 20. Jahrestag des gescheiterten Attentats auf Hitler, wurde es eingeweiht. Eine offizielle Kranzniederlegung durch die Stadt Osnabrück fand statt.
2010 gedachte man der vier Osnabrücker Parteimitglieder, die ohne Nachweis einer Beteiligung am Attentat auf Hitler interniert und anschließend getötet wurden. Am 8. Mai 2014 fand eine Gedenkveranstaltung für die homosexuellen Opfer zum Tag der Befreiung vom Hitlerfaschismus statt. Dies wurde durch den AstA der Universität Osnabrück veranlasst.


Nachdem Sie nun als Leser etwas über den Künstler sowie den geschichtlichen Hintergrund zum Werk erfahren haben, hat sich Ihr Eindruck vom Denkmal geändert? Wird es dem Aufruf zum Gedenken an die Opfer von Wahrheit und Freiheit gerecht? Erreicht es vielleicht sogar noch mehr, indem es universell gestaltet ist?
Vielleicht meinen Sie nun, dass dieses Denkmal als universelles Werk zum Gedenken an die Opfer von Wahrheit und Freiheit nur dann seine volle Wirkung entfaltet, wenn man ohne Hintergrundwissen in die Betrachtung hineingeht. Ich bin gespannt auf Ihre Kommentare.
Zum Schluss gebe ich Ihnen noch ein paar Eckdaten zum Denkmal. Die Skulptur stellt einen älteren gefesselten Mann dar. Das verwendete Material ist Basalt (vulkanisches Gestein und basisches Ergussgestein). Der Umfang entspricht in etwa 70 cm, wobei der 1. Sockel ca. 1m und der 2. Sockel ca. 58 cm hoch sind. Der hintere Sockel hat einen Umfang von etwa 1m. Insgesamt ist „Der Gefesselte“ ca. 480 cm groß.

Nachdem ich nun die Biografie des Künstlers und die geschichtlichen Hintergrunddaten kenne, bleiben trotzdem noch einige offene Fragen für mich sowie vermutlich für jeden Leser und Betrachter bestehen. Ich möchte hiermit alle Leser ermutigen und auffordern, ihre Gedanken und ihre Sichtweise als Kommentare zu diesem Blogeintrag mitzuteilen.
Was hat den Künstler wohl dazu veranlasst, diesen Mann gefesselt darzustellen?
Warum ist der Blick des Mannes nach unten gerichtet?
Was stellen die Formen der Plattform, auf der der Mann steht, dar? Könnte es symbolisch einen Grabstein abbilden?
Wird hier ein Mensch gezeigt, der für Wahrheit und Freiheit steht?
Ich hoffe, ich konnte Ihnen ein paar Denkanstöße bezüglich des Denkmals geben, viele wissenswerte Informationen mitgeben und Ihr Interesse am Werk wecken.

Meine abschließenden Fragen an Sie:
Hat diese Skulptur den Charakter, dass sie wirklich generell für viele Opfer und historische Ereignisse stehen kann? Oder geht ihre Symbolik eventuell sogar über dies hinaus?



Sonntag, 15. Juni 2014

The Shy Camera


„The Shy Camera“ von Gregor Kuschmirz ist eine Installation in der Ausstellung „We, The Enemy“ – zu sehen in der Kunsthalle Osnabrück bis zum 25.Mai 2014. Diese schüchterne Kamera wendet sich von jedem Betrachter, der ihr näher treten will, ab. Ansonsten dreht sie sich, an der Raumdecke befestigt, um ihre eigene Achse.



Mir als Betrachter fällt natürlich auf, dass die Kamera gegensätzlich zu den Kameras handelt, die wir bisher kennenlernen konnten. Sie nimmt Objekte oder Personen nicht in den Fokus, sondern dreht sich weg. Normalerweise erwartet man, dass die Kameras, die in vielen öffentlichen und privaten Räumen vorhanden sind, Menschen und die Situationen, in denen sie sich befinden, aufnehmen und speichern. Hier erlebt man genau das Gegenteil. Was soll die Installation uns, den Betrachtern, mitteilen?

Die meisten Menschen versuchen heute, Medienpräsenz zu beweisen, sich positiv ins Bild zu setzen und zu präsentieren. Dies gelingt natürlich nicht allen Personen gleich gut. Dennoch kann man fast überall in der Öffentlichkeit, also im Bus, in der Universität, eigentlich überall erleben, wie Menschen „Selfies“ von sich machen und im Internet veröffentlichen, ergänzt noch durch ganz private Informationen über ihre Person und Lebensumstände. Aber Kameras sammeln auch, ohne uns explizit um ihr Einverständnis zu bitten, Informationen über uns. Allzu oft wird vergessen, dass an öffentlichen Plätzen inzwischen eine Dauerüberwachung stattfindet und wir jederzeit durch Kameras unter Beobachtung stehen. 

Der Künstler versucht dadurch, dass er eine „schüchterne“ Kamera installiert hat, Ironie zu erzeugen. Wir kennen es einfach nicht, dass eine Kamera sich wegdreht, wenn wir in ihre Nähe treten. Das Gegenteil ist der Normalfall. Ich denke, dass Gregor Kuschmirz damit anstoßen will, dass wir unser eigenes Verhalten analysieren und reflektieren. Und wir sollen darüber nachdenken, vielleicht sogar unser Verhalten in Frage stellen und ändern?! Ein Denkmal steht für mich als Zeichen, über einen Umstand oder ein Ereignis oder eine Person nachzudenken   „Denk mal“ im wörtlichen Sinne verstanden.

Der Gegenstand der Betrachtung "The Shy Camera" ist auf der Website des "European Media Art Festival" zu sehen.